Stand: 10:02 Uhr
Annadonna“ sieht äußerst verlockend aus. Die vielen himbeerroten Sahnehäubchen auf der 1,90 Meter hohen Etagentorte bringen Geschmacksnerven und Speicheldrüsen auf Trab. Sie befehlen: Sofort eines der Teilchen abnehmen und in den Mund schieben. Tritt man aber näher an die Zuckerbäcker-Versuchung heran, zeigt sich, dass „Annadonna“ gar nicht aus geschlagener Sahne besteht. Denn außer den rosa Häubchen besteht das Gebilde auch aus Geschirr-Teilen, aus Tassen und Untertassen, sogar einer Kaffeekanne. Das Hinweisschild an der Wand löst das Rätsel auf: „Annadonna“ ist eine wahre Hochstaplerin. Sie ist nichts anderes als die Attrappe einer täuschend echt aussehenden Torte aus weichem Silikon, gepaart mit feinem Porzellan.
Insgesamt zwölf Skulpturen aus dem Zyklus „Anna“ hat Anke Eilergerhard in ihrer Ausstellung „Dolcissima“ im Düssseldorfer Hetjens-Museum aufgebaut. Das ist ein guter Ort, denn das Museum ist eines der wenigen in Deutschland, das sich auf das Sammeln und Präsentieren von Keramik und Porzellan spezialisiert hat.
Dass Künstlerinnen und Künstler sich mit Speisen auseinandersetzen, ist nicht neu. Vor allem in den 60er- und 70er-Jahren gab es viele Werke rund um das Thema Lebensmittel, – wie Wolf Vostells „Kisten mit vertrocknetem Salat“, Dieter Roths Schokoladenhasen oder Daniel Spoerris „Fallenbilder“ aus Resten von Speisen. Diese Objekte agierten gegen die Konsumgesellschaft im Wirtschaftswunderland Deutschland.
Von solchen Vorstellungen sind Anke Eilergerhards extravagante Schönheiten weit entfernt. Anfangs sei es ihr allein um die „skulpturale Form von Sahne“ gegangen, sagt die 60-Jährige. Schon als Kind habe sie sich vor den Auslagen der Konditorei Grimm in ihrer Heimatstadt Wuppertal die Nase platt gedrückt. Die Torten hätten ihre Fantasie angeregt. „Man kann vor den Tortenkreationen so leicht das wahre Leben vergessen“, schwärmt sie. Diese Haltung verbindet sie mit den Künstlern der Pop-Art wie Claes Oldenburg, der überdimensionierte Eiskugeln und fette Tortenstücke liebte.
Absurdes Theater
Doch Eilergerhards „Annas“ haben auch eine absurde Seite. Die Porzellan-Teile sind nicht wahllos aufgestapelt, sondern sie formieren sich zu holzschnittartigen menschlichen Figuren. Aus Tassen werden glotzende Augen, aus Kannen voluminöse Hinterteile und schwingende Hüften, aus Milchkännchen Kopfbedeckungen. „Anneke“, „Anouk“, Annabeth“ oder „Annalotta“ zeigen weibliche Rundungen. Sie ähneln eher den barocken Vorbildern, etwa sich windende Bernini-Figuren oder bewegte Rubens-Damen in Rosa, Minzgrün, Cremeweiß oder blassem Gelb.
„Pareidolie“ lautet der Fachbegriff dafür, dass Betrachter in Eilergerhards collagierten Plastiken menschliche oder andere Wesen zu erkennen glauben, so wie es Vergnügen bereiten kann, in vorüberziehenden Wolkengebilden Fabelwesen zu erraten. Dabei sind die Skulpturen-Damen alles andere als Ideal-Schönheiten des 21. Jahrhunderts. Und dass die Künstlerin für deren Gestaltung Silikon verwendet, ein beliebtes Füllmaterial der Schönheitsindustrie für Brustvergrößerung und Gesäßerweiterung, ist sicher kein Zufall, sondern verrät auch etwas über die Ironie und die Freude am Witz, mit der Eilergerhard zu Werke geht.
Was so leicht hingeworfen, zuckrig süß und hart am Rande des Kitsches balancierend daherkommt, ist aber durchaus solide Handwerkstechnik. Damit die Plastiken nicht umfallen, versieht sie die Künstlerin mit einem Unterbau aus Stahl. Erst auf diesen werden Schicht für Schicht Silikon-Häubchen und Porzellan-Geschirr aufgebaut. Schon während ihres Studiums des Kommunikationsdesigns an der Universität Wuppertal hatte sich bei Anke Eilergerhard das Tortenmotiv eingebrannt. Gestartet ist sie mit Torten-Malerei auf Stoffen – Schwarzwälder Kirsch-Torte auf Rosenmustern war ein beliebtes Motiv. Und während die meisten Studierenden ihre Motive häufig änderten, machte Eilergerhard stoisch weiter und fotografierte Tortenstücke aus aller Welt, analog und schwarz-weiß. Als sie Ende der 90er-Jahre ihre Atelierräume in Berlin bezog, entdeckte sie die Möglichkeit, Silikon in eine Sprühspritze zu füllen und Sahnehäubchen-Attrappen in Serie herzustellen. So begann sie, Sahnehäubchen an Sahnehäubchen zu ungegenständlichen Skulpturen zusammenzusetzen. Einige dieser Arbeiten sind zurzeit in der Düsseldorfer Galerie Anna Laudel zu sehen. Allerdings ist die Produktion mit Silikon kostenintensiv. Für die Gesamtfläche einer 90 Zentimeter großen Plastik werden rund 180 Silikonkartuschen mit je 320 Milliliter benötigt. Bei einem Preis von rund 38 Euro pro Kartusche sind das 6800 Euro.
Anna auf dem Laufsteg
Eine finanzielle Entlastung für die Künstlerin stellte daher die Zusammenarbeit mit Fendi dar. Das italienische Modeunternehmen wollte die anmutigen „Anna“-Skulpturen in seinen Showrooms in Rom, Tokio, New York, Paris, Mailand, Hongkong ausstellen – im Dialog mit der neuesten Fendi-Kollektion. Durch diesen Auftrag habe sie endlich die Chance bekommen, auch sehr große Skulpturen zu machen, sagt Eilergerhard. Wie „Annakatharina“ mit 190 Zentimetern oder „Annette“ mit 320 Zentimetern, die jetzt im Hetjens-Museum zu sehen sind. Nun geht sie sogar noch weiter: Seit vergangener Woche steht im alten Hafen in Düsseldorf, unmittelbar im Rücken des Hetjens-Museums, die beinahe vier Meter hohe Plastik „Between Heaven & Earth“. Es ist ein überdimensioniertes Sahnehäubchen, getragen von einer rostigen Stahlkonstruktion, die gotische Architekturformen aufnimmt.
Mit dem Fendi-Engagement hatte Eilergerhard endlich genug Geld, um Porzellan in größerem Umfang zu kaufen. Hatte sie ihr Glück anfangs noch bei Ebay versucht, so konnte sie nun Großeinkäufe direkt bei Manufakturen wie Weimar Porzellan und Bohemia H&C tätigen. „Annouk“ beispielsweise besteht aus Hutschenreuther Porzellan und „Anneke“ aus Winterling Bavaria Porzellan. Wichtig ist: Das Porzellan sollte ein höfisches Erscheinungsbild haben mit rokokoartigen Formen und Dekors. Porzellan aus der Bauhaus-Zeit oder der Zeit der Russischen Revolution fehlen im Anna-Repertoire, denn die deckten sich nicht mit der Vorstellung von bürgerlicher Kultur, sagt Anke Eilergerhard.
Ihre Beschäftigung mit der Torte streift auch die Kulturgeschichte der Cafés. Für die europäische Gesellschaft hatten Kaffeehäuser die Funktion als öffentliche Sphäre, durch die sich eine breitere Öffentlichkeit etablieren konnte. Cafés spielten zudem eine politische Rolle, so in Frankreich als Versammlungsort während der Französischen Revolution, wie das Café de Foy und das Café Corazza in Paris. Und Teil dieser Geschichte ist die Sahnetorte.
Bis 24. 9. 2023, „Dolcissima“, Hetjens-Museum, Düsseldorf; bis 24. 9. 2023, „Überzuckert“, Galerie Anna Laudel, Düsseldorf
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