Bier in der Krise

Stand: 09:24 Uhr Bei der Brauerei C. & A. Veltins im Sauerland läuft es: Im 200. Jahr ihres Bestehens vermeldete das Familienunternehmen das umsatzstärkste Geschäftsjahr seiner Geschichte. Bei der Brauerei C. & A. Veltins läuft es noch gut: Im 200. Jahr ihres Bestehens vermeldete das Familienunternehmen das umsatzstärkste Geschäftsjahr seiner Geschichte. Quelle: obs Bier in der Krise: Der Absatz von Bier ist seit Langem rückläufig. Viele Brauer und Gastronomen aus NRW schauen mit Sorgen ins Jahr 2024. Den Absatz ankurbeln könnte ein neues „Sommermärchen“ zur Fußball-Europameisterschaft und gutes Wetter. Anzeige Anzeige

Knapp zwei Wochen vor Rosenmontag gibt man sich bei der Kölner Brauerei Gaffel zuversichtlich. „Karneval ist für den gesamten Kölsch-Markt ein hochrelevanter Booster“, sagt Marketing-Chef Thomas Deloy. Der Absatz des obergärigen Bieres könnte im Januar und Februar um bis zu 25 Prozent über den sonst üblichen Monatswerten liegen. Als stärkste Kölsch-Marke in der heimischen Gastronomie profitiere Gaffel besonders vom Endspurt der närrischen Session, der in Restaurants und Kneipen ausgiebig gefeiert werde. Der Preis für ein kleines Glas Kölsch liegt laut Gaffel zwischen 1,90 Euro in den „Veedeln“ und 2,30 Euro in der Altstadt; in Düsseldorf soll hingegen zu Karneval 2024 erstmals die Drei-Euro-Marke für das hier etwas größere übliche Glas mit Alt-Bier geknackt werden.

Wenn Karnevalisten feiern, fließt in der Regel auch viel Kölsch, Alt und Pils in den Hochburgen am Rhein. Quelle: picture alliance / Rupert Oberhäuser Anzeige

Während feiernde Jecken zu Karneval bei den Bierpreisen nicht so genau hinschauen dürften, hat es die Branche ansonsten nicht leicht – der Bierdurst geht seit Jahren zurück. Wurden bundesweit laut Statistik im Jahr 2004 noch 116 Liter Bier pro Erwachsenem konsumiert, waren es 2022 nur noch 91,8 Liter.

Knapp 150 NRW-Brauereien

Gerade hat der heimische Brauereiverband die neuesten NRW-Zahlen für 2023 zusammengestellt. „Mit einem Minus von 1,9 Prozent stehen wir im bundesweiten Vergleich noch relativ gut da“, sagte Geschäftsführer Marc Peters WELT AM SONNTAG. Deutschlandweit dürfte das Minus zuletzt bei vier Prozent gelegen haben, die exakten Zahlen stehen hier aber noch aus.

Anzeige

Von den 148 Brauereien in NRW – darunter viele kleine und Hausbrauereien – sind lediglich 32 Mitglieder im Verband. Von den Branchengrößen sind Veltins und die Radeberger-Gruppe (Oetker) mit den Betriebsstätten Dortmund und Köln dabei, Krombacher und Warsteiner hingegen nicht. Wie Peters anhand seiner aktuellen Tabelle erläutert, hat das Pils in NRW über das Jahr hinweg 2,5 Prozent verloren, beim Kölsch lag der Rückgang bei 2,4 Prozent. Während die alkoholfreien Sorten und Biermischgetränke weiter zulegten, ist vor allem das Altbier auf dem Rückzug. Bei einem ohnehin schon geringen Ausstoß von 468.533 Hektolitern in 2022 verlor diese einst sehr beliebte obergärige Variante weitere 6,9 Prozent. Dagegen legte die Sorte Export um 45 Prozent zu, bei einem allerdings überschaubaren Gesamtausstoß von lediglich 148.722 Hektolitern. Auch im Bierbereich kommen Trends eben auf und verschwinden wieder. Während sich die Mischgetränke mit wenig oder ganz ohne Alkohol am Markt behaupten, ist Weizenbier aus NRW-Produktion mittlerweile weniger gefragt. Im Gegenzug setzen viele NRW-Hersteller – von großen Anbietern wie Krombacher und Veltins bis zu regional erfolgreichen Brauereien wie Stauder in Essen – verstärkt auf „Helles“ nach bayerischem Vorbild. „Auch die länger erfolgreichen Craft-Biere, die vor allem in kleineren Betrieben mit viel Handarbeit hergestellt werden, sind nach unserer Einschätzung rückläufig“, sagt Verbandsgeschäftsführer Peters.

Bolten-Chef Michael Hollmann mit jeweils einer Flasche Hannen-Alt und Bolten-Alt in seiner Brauerei in Korschenbroich am Niederrhein. Quelle: Guido Hartmann

Einer der wenigen erfolgreichen Akteure im Bereich Altbier ist Bolten in Korschenbroich. „Wir haben 2023 auf Vorjahresniveau abgeschnitten“, sagt Mitinhaber und Geschäftsführer Michael Hollmann. Vor allem der Absatz von Fassbier, insbesondere in der Gastronomie am Niederrhein, habe für ein weiter stabiles Geschäft gesorgt. Vor zwei Jahren hatte Hollmann die Traditionsmarke Hannen Alt zugekauft, die zuletzt in Krefeld abgefüllt wurde. Mittlerweile wurde die Produktion nach Korschenbroich geholt, wo Hannen mit anderen Zutaten und in eigenen Kesseln gebraut wird. Das neue Hannen, das bereits vor knapp 300 Jahren in Korschenbroich hergestellt wurde, sei süffiger als das herbere Bolten-Alt, so Hollmann, der auch Vorsitzender des NRW-Brauerbundes ist. „Hannen ist auf jeden Fall eine erhaltenswerte Marke und passt zu uns.“

Kölsch hat eine Sonderstellung

Während Alt im Grunde überall gebraut werden kann, ist das obergärige Bier aus der Domstadt am Rhein durch die sogenannte Kölsch-Konvention aus dem Jahr 1985 auf Köln und ein paar umliegende Gemeinden von der Herstellung her geografisch begrenzt. „Wir sind zufrieden mit dem Gesamtabsatz unserer Produkte, der im letzten Jahr im Handel stabil war“, sagt Gaffel-Marketingmann Deloy. Beim Dosenbier habe man sogar einen enormen Zuwachs verzeichnen können. Ebenfalls erfolgreich sei das naturtrübe Gaffel „Wiess“. Das ungefilterte Helle war Gaffel zufolge bis Mitte des letzten Jahrhunderts „Nationalgetränk der Kölner und somit der Urvater des Kölschs, wie wir es heute kennen“. Während die Kölsch-Brauer in einem relativ abgeschotteten Markt agieren, müssen sich größere Familienunternehmen wie Krombacher, Veltins und Warsteiner gegen internationale Konzerne wie Anheuser-Busch Inbev (Umsatz 2022 insgesamt 57,8 Milliarden US-Dollar), Carlsberg und auch Radeberger behaupten.

Ein historischer Blick in ein Sudhaus bei Veltins im Sauerland, wohl in den 1970er-Jahren. Quelle: Veltins Anzeige

Nach Schätzungen von Veltins hat die deutsche Brauwirtschaft im Vorjahr 3,5 Millionen Hektoliter (HL) Marktvolumen verloren – so viel wie in keinem anderen Jahr zuvor. Die Demografie schlage „mit der Verkleinerung der konsumrelevanten Zielgruppe stärker zu Buche als früher“ und führe zu einem noch härteren Wettbewerb, sagte Vertriebsgeschäftsführer Volker Kuhl bei der Präsentation der Veltins-Zahlen. Im 200. Jahr des Bestehens vermeldete das Unternehmen aus dem Sauerland dennoch den stärksten Jahresumsatz der Firmengeschichte. Während der Ausstoß um 2,9 Prozent nachgab, legte der Umsatz um 5,3 Prozent auf 441 Millionen Euro zu – offenbar konnte Veltins weniger Bier zu höheren Preisen an die Kunden bringen. 2023 habe es als Lichtblicke den Jahresauftakt nach Ende der Pandemie und den warmen Oktober mit „hervorragendem Bierwetter“ gegeben. Doch „die Party mit den Verkaufszuwächsen des Vorjahres ist vorbei“, sagte Kuhl. Krisen wie der russische Krieg gegen die Ukraine mit steigenden Energiepreisen und Inflation drückten auf den Konsum.

Sorge um 2200 Gastronomiebetriebe

Sorgen bereiten den Brauern auch die gestiegenen Kosten in der Gastronomie wegen der zum Jahresbeginn wieder auf 19 Prozent angehobenen Mehrwertsteuer. Der Gaststättenverband Dehoga NRW erwartet laut einer Umfrage rund 2200 weitere Unternehmensaufgaben zwischen Aachen und Porta Westfalica, rund 6000 gastronomische Unternehmen hätten coronabedingt bereits zwischen 2020 und 2021 schließen müssen. „Eine solche Entwicklung würde natürlich auf das Geschäft der Brauereien durchschlagen“, sagt Marc Peters vom Brauereiverband in Düsseldorf.

ANZEIGE Immobilie bewerten: Kölner Experten beraten Sie

Auch die Brauereien litten unter Kostensteigerungen bei Zutaten, Löhnen und Energie. „Brauen, Kühlen des Bieres und das hygienische Reinigen der Flaschen ist sehr energieintensiv“, so der Geschäftsführer. Viele Unternehmen seien hier bislang auf Gas angewiesen, ein Umbau in Richtung regenerativer Energiequellen koste auch kleinere Betriebe schnell Millionensummen. „Das dürfte manches Unternehmen schnell überfordern“, sagt Peters.

Der Verbraucher, das unbekannte Wesen

Anzeige Anzeige

Für den Bierexperten Hermann-Josef Walschebauer wird zudem der Verbraucher „immer mehr zum unbekannten Wesen“. Er reduziere seinen Konsum, springe zwischen den günstigen Angeboten hin und her und greife verstärkt zu Billigbieren, die große Hersteller in den Markt drückten. „Dem Verbraucher in seinem sprunghaften Verhalten zu folgen, fällt gerade den lokalen und mittelständigen Brauern immer schwerer“, sagt Walschebauer, der viele Jahre in der NRW-Brau- und Getränkeindustrie im Bereich Marketing tätig war. „Denn Preisaktionen oder der Neustart von Produkten mit Innovationen sind kaum noch zu finanzieren.“ Wie sich der Markt im laufenden Jahr entwickeln dürfte, sei im Grunde so „wie der Blick in eine Glaskugel“.

Auch für die Familienbrauerei Jacob Stauder in Essen war 2023 zunächst kein einfaches Jahr. „Wir hatten schwierige Vorzeichen auf der Kosten- und Absatzseite“, sagt Thomas Stauder, der die Geschicke des Unternehmens in sechster Generation mit einem Cousin lenkt. „Wir mussten die Preise erhöhen, um sechs bis neun Prozent, je nach Produkt und Gebinde“, sagt der Betriebswirt. Glücklicherweise hätten Gastronomie, Handel und die Verbraucher dies nachvollziehen können und seien der Marke treu geblieben. „Wir konnten das Jahr 2023 sogar mit einem Plus bei Ausstoß und Umsatz abschließen.“

Im Kontakt mit den Kunden

Stauder habe das Glück, immer noch etwa 30 Prozent seines Ausstoßes als Fassbier in der Gastronomie absetzen zu können, das sei mehr als im Markt üblich, erläutert Thomas Stauder. „Bei der Qualität sind wir sehr konsequent und setzen auf besonders hochwertige Hopfensorten und geben unserem Bier viel Zeit zum Reifen.“ Als regional verwurzeltes Unternehmen setzt Stauder auch auf einen engen Kontakt mit den Kunden. Beide Geschäftsführer treten persönlich in der Werbung auf und sind bei Veranstaltungen häufig präsent. Weiterhin wichtig seien lokale Partnerschaften, etwa mit dem Fußball-Verein Rot-Weiss-Essen, der Hip-Hop-Band 257ers und dem auf Instagram aktiven Portal Essendiese mit rund 88.000 überwiegend jungen Followern. Am bedeutendsten sei immer noch die Hauptsorte Stauder Pils, die 75 Prozent des Absatzes ausmache, sagt Thomas Stauder. Aber auch neue Varianten wie „Helles Bierchen“ in der 0,33-Liter-Flasche seien zunehmend beliebt.

In Köln, am Niederrhein und im Ruhrgebiet hofft man nun auf gutes Bierwetter vom Frühjahr bis in den Herbst. „Das herausragende Ereignis dieses Jahres ist die Fußball-Europameisterschaft“, sagt Thomas Deloy von Gaffel-Kölsch. In Köln, wo Teams aus Ungarn, Slowenien, der Schweiz, Schottland, Belgien und England aufeinandertreffen sollen, sei man voller Vorfreude. „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Atmosphäre ähnlich ausgelassen sein wird wie beim unvergesslichen WM-Sommermärchen 2006.“ Und damals wurde viel Bier konsumiert.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen. Drittanbieter freigeben

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *