Invictus Games: Herzensangelegenheit für Düsseldorf

Stand: 07:40 Uhr Bundeswehr-Soldat Tobias Barkau beim Tischtennis-Spiel Der 41-Jährige leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Über den Sport versucht er, diese zu bewältigen, wie andere Soldaten auch Bundeswehr-Soldat Tobias Barkau leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Über den Sport versucht er, diese zu bewältigen, wie andere Soldaten auch Quelle: Kay Stübner In Düsseldorf werden am Samstag die Invictus Games eröffnet. Als Gründer des Wettkampfs für kriegsversehrte Soldaten begleitet der britische Prinz Harry die Spiele bis zu ihrem Abschluss am Samstag kommender Woche in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. Anzeige Anzeige

Kugelstoßen, Rudern, Tischtennis, Wandern und Radfahren. Ein Leben ohne Sport ist für Tobias Barkau unvorstellbar. Er trainiert mehrmals die Woche, spielt seit seiner Jugend Tischtennis und absolviert Wandertouren in ganz Europa. Doch für den 41-Jährigen haben Sport und Bewegung nicht nur den Effekt des rein körperlichen Trainings. Für den Bundeswehrsoldaten ist Sport auch mental ein wichtiger Aspekt. Denn seit einem Einsatz im Kosovo 2012 leidet Barkau unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Gemeinsam mit der Gruppe Sporttherapie der Bundeswehr hat er sich die vergangenen Monate auf die Invictus Games vorbereitet, die an diesem Wochenende in Düsseldorf beginnen.

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Dieses internationale Sportereignis für Soldatinnen und Soldaten findet erstmals überhaupt in Deutschland statt. Die „Sportstadt“ Düsseldorf, wie sich die Landeshauptstadt auch bezeichnet, empfängt gemeinsam mit der Bundeswehr bis zum 16. September an die 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 21 Nationen; Israel und Kolumbien sind erstmalig mit dabei. Auch ein Team aus der Ukraine, die seit eineinhalb Jahren unter hohen Verlusten den russischen Angriffskrieg abwehrt, tritt bei den Spielen an.

Das Team Deutschland schickt 37 Athletinnen und Athleten in das Rennen um Gold, Silber und Bronze, darunter erstmals auch einige versehrte und erkrankte Polizisten und Feuerwehrleute. Die Sportler treten in zehn verschiedenen Sportarten gegeneinander an, unter anderem im Rollstuhlbasketball, Schwimmen und Sitzvolleyball. Düsseldorfs Oberbürgermeister Stefan Keller spricht von einer „absoluten Herzensangelegenheit, hier bei uns am Rhein Kriegsversehrten eine Bühne zu geben“. Es sei wichtig, „ihre Schicksale und die Kraft, mit der sie ihre körperlichen und seelischen Schmerzen besiegen, sichtbar zu machen“, so der Rathaus-Chef vorab gegenüber WELT AM SONNTAG. Er freue sich sehr auf die Woche und danke den vielen freiwilligen Helfern herzlich.

Start war 2014 in London

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Erstmalig fanden die Spiele vor neun Jahren in der britischen Hauptstadt London statt. Hauptinitiator ist Prinz Harry, der Herzog von Sussex. Der Sohn des britischen Königs Charles III. war als Soldat 2007 und 2008 in der afghanischen Unruheprovinz Helmand stationiert. Dort hatte er selbst Kampfeinsätze erlebt und aus erster Hand vom Leid vieler Soldatinnen und Soldaten erfahren. Den Rückflug teilte sich Prinz Harry mit drei schwerverletzten Soldaten – das war die Geburtsstunde der Invictus Games. Prinz Harry will nach der Eröffnungsfeier am Samstag die ganze Woche in Düsseldorf mit dabei sein, seine Gattin Meghan wird ebenfalls erwartet.

Quelle: dpa

Ein Urgestein der Invictus Games ist Dennis Siesing, der bereits zum dritten Mal an den Spielen teilnimmt. Vor Düsseldorf ging der Gelsenkirchener schon 2016 in Florida in den USA und 2017 in Toronto in Kanada an den Start. Auf die Spiele in Florida blickt der heute 42-Jährige gern zurück. Die Anerkennung und der Respekt für die Arbeit von Soldatinnen und Soldaten sei in den USA um einiges präsenter als in Deutschland, berichtet er im Gespräch mit WELT AM SONNTAG. Wenn ein ganzes Stadion aufstehe und jubele, dann seien das die Momente, die die Spiele ausmachten, so der ehemalige Fallschirmjäger. Siesing leidet nach drei Auslandseinsätzen in Afghanistan unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS. Von den Spielen erhofft er sich eine größere gesellschaftliche Sichtbarkeit für die körperlichen Verwundungen und seelischen Traumata der Soldaten.

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Das Auftreten einer PTBS nach einem Einsatz ist keine Seltenheit. Angaben der Bundeswehr zufolge gab es vergangenes Jahr 197 Soldatinnen und Soldaten, die an einer einsatzbedingten PTBS erkrankten. Die Dunkelziffer soll dabei um einiges höher liegen. Schätzungsweise drei Prozent aller Einsatzrückkehrenden entwickeln eine PTBS, diagnostiziert wird die Krankheit aber nur bei der Hälfte aller Betroffenen. PTBS-Erkrankte leiden unter ihren traumatischen Erlebnissen. Der Körper und die Seele befinden sich in ständiger Alarmbereitschaft, sie sind unruhig, nervös und gereizt. Viele leiden zudem unter Schlafstörungen, oft drehen sich die Gedanken nur noch um das traumatische Erlebnis. Sie erleben sogenannte Flashbacks. Nicht selten führt eine PTBS im weiteren Verlauf zu Depressionen und Angststörungen. Dennis Siesing wacht nachts oft schweißgebadet auf, weil immer wieder die alten Bilder kommen: das Camp in Afghanistan, die Raketenangriffe und vor allem ein Ereignis. Eine Sprengfalle, die unter einem Fahrzeug vor ihm hochging und einen Freund vor seinen Augen tötete.

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Auch Tobias Barkau, der aus Bramsche bei Osnabrück stammt, leidet seit seiner Rückkehr aus dem Kosovo im August 2012 unter solch einer Störung. In seinem engen Umfeld wurde zuerst wahrgenommen, dass sich Barkau nach der Heimkehr aus dem Einsatz verändert hatte. Im September 2012 entschloss er sich dazu, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es folgten eine Kur sowie mehrere Krankenhausaufenthalte, bevor er 2014 die Diagnose PTBS bekam. Ein weiteres Jahr im Krankenhaus verstrich, bevor er 2016 eine ambulante Therapie begann.

Auch heute noch scannt Tobias konstant seine Umgebung nach möglichen Gefahren. Alltägliche Dinge wie U-Bahn-Fahren sind für ihn eine große Herausforderung. „Man merkt, dass die Erinnerungen an den Einsatz nicht weggewaschen sind“, betont er im Gespräch mit WELT AM SONNTAG. So sind Feuerwerkskörper und der Geruch von Müll immer noch belastende Wahrnehmungen für ihn, die wie ein Trigger schmerzhafte Erinnerungen an den Einsatz wecken.

Therapie im Münsterland

Für Gebirgsjäger Barkau war die Gruppe Sporttherapie an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf bei Münster eine große Stütze für die Zeit nach dem Klinik-Aufenthalt. In einem dreiwöchigen Lehrgang erlernen die bis zu 15 Teilnehmenden dort Strategien zur Stressbewältigung und zur Entspannung. In enger Zusammenarbeit mit dem Trainerstab sowie einer psychologischen Betreuung erhalten sie individuelle Trainingspläne zum Aufbau von Kraft und Ausdauer sowie zur Verbesserung der Regeneration und Stressbewältigung. Ziel ist es, ein ganzheitliches Gesundheitskonzept zu finden, in dem sie Sport und Bewegung als kraftspendende Ressource nutzen können.

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Alle deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Invictus Games mussten vor Beginn der Wettkämpfe zwei spezifische Lehrgänge absolvieren, in Gruppen von bis zu sechs Teilnehmern trainierten die Athleten auf ihre individuellen sportlichen Ziele hin. Die Angebote der Gruppe Sporttherapie richtet sich an alle Soldatinnen und Soldaten, die eine entsprechende medizinische Indikation haben. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um eine körperliche Einschränkung oder eine psychische Krankheit, beispielsweise eine PTBS, handelt.

Bundeswehr-Soldatin Julia Eyrich auf großer Tour an der Küste Kaliforniens Quelle: privat

Eine Teilnehmerin dieses speziellen Lehrgangs ist die ehemalige Feldjägerin Julia Eyrich, die nach einem Skiunfall im Februar 2019 ihr rechtes Knie nur noch eingeschränkt bewegen konnt. Alltägliche Dinge wie Springen, Rennen und langes Stehen waren für sie mit starken Schmerzen verbunden. „Durch den Unfall kam mein Leben zum Stillstand“, schildert die 30-Jährige in Gesprächen mit WELT AM SONNTAG.

Nach dem Unfall unterzog sie sich mehreren Operationen und gelangte schließlich auch zur Gruppe Sporttherapie nach Warendorf. „Ich musste nicht nur lernen, meinen Körper wieder aufzubauen, sondern auch meine mentale Stärke“, berichtet die junge Frau, die bei der Bundeswehr Management und Medien studiert hat und seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Bundeswehr in Ulm ist.

In den Lehrgängen in Warendorf entdeckte Julia Eyrich ihrer Leidenschaft für das Schwimmen und erkannte, dass sie sich von nichts unterkriegen lassen will. Der Sport helfe ihr dabei, eine positive Denkweise zu entwickeln und nicht aufzugeben. „Andere würden jetzt noch im Rollstuhl sitzen“, sagt die derzeitige Doktorandin.

Auch für Tobias Barkau war diese Gruppe eine besondere Unterstützung. „Früher habe ich den Sport missbraucht, um mich von Ängsten und Aggressionen zu befreien.“ Das habe sich durch die Lehrgänge geändert. Heute sei sein Verhältnis zum Sport durchweg positiv, er helfe ihm maßgeblich dabei, mental stabil zu bleiben, sei ein Ausgleich zu den quälenden Gedanken, eine Möglichkeit, den Kopf freizubekommen. „Beim Sport kreisen die Gedanken nicht um die Krankheit“, betont der 41-Jährige.

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