Offenbach in Düsseldorf: Eine Feier der Lebenslust

Stand: 18:06 Uhr Szene aus „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacques Offenbach Szene aus „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacques Offenbach Quelle: Rheinoper/Hans Jörg Michel „Orpheus in der Unterwelt“ ist in einer turbulenten Fassung an der Rheinoper Düsseldorf zu sehen. Im Zentrum: Schauspieler Max Hopp. Seine Dialoge halten eine Überraschung bereit. Anzeige Anzeige

Neun Götter sitzen auf einem Sofa. Sie haben Probleme, streiten und diskutieren. Die von einer Frau personifizierte öffentliche Meinung steht vor der Tür. Und das olympische Chaoskabinett packt die Panik. „Ich muss mich jetzt um die inneren Angelegenheiten des Olymp kümmern“, knurrt Jupiter mit tiefer Stimme. „Ich bekomme Beschwerden von allen Seiten.“ Die Göttinnen keifen, Kriegsgott Mars knödelt etwas tumb daher. So verschieden ihre Stimmen klingen – sie kommen alle von nur einem Mann: Max Hopp. Er spricht sämtliche Dialoge in dieser Aufführung von Jacques Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ an der Deutschen Oper am Rhein.

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Die Sängerinnen und Sänger bewegen nur die Münder. Hopp macht auch die Geräusche, er atmet, seufzt, hechelt, grunzt, kichert. Wenn jemand geht, imitiert er das Klackern der Sohlen. Es ist eine Präzisionsarbeit wie in einer Live-Synchronisation eines kompletten Spielfilms. Nicht nur die Lippenbewegungen des Ensembles sind genau festgelegt. Ebenso die Pausen zwischen den Sätzen. Manche dauern eine halbe Sekunde, manche fünf Sekunden. Max Hopp muss exaktes Timing liefern und darf nicht improvisieren. Pure Virtuosität ist hier gefragt. „Das hat schon was von einem Zaubertrick“, erklärt der Schauspieler im Gespräch.

„Wir brauchen eine Art von Blödsinn“

Die Idee entstand vor vier Jahren. Da erarbeitete Max Hopp mit Regisseur Barrie Kosky diese sehr spezielle Fassung der Operette bei den Salzburger Festspielen. Kaum jemand von den Sängerinnen und Sängern konnte Deutsch. Es sei unter diesen Bedingungen kaum möglich gewesen, die Dialoge so temporeich und pointiert zu inszenieren, wie Kosky es wollte.

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So kam Hopp ins Spiel. Er saß erst mit dem Textbuch auf der Bühne und probierte alles Mögliche aus. So entstand neben Offenbachs musikalischer Partitur eine zweite, bestehend aus präzise fixierten Regieanweisungen. „Die Erarbeitung dieser Partitur war höchst genau“, erzählt Hopp, „ausgewählt aus einem Fundus von angstfreiem Improvisieren, von Blödsinn. Übrigens ist Blödsinn, also die Kombination von blöd und Sinn, ein sehr schönes Wort. Wir brauchen eine bestimmte Art von Blödsinn, um uns wieder zu reinigen, um uns zu erden.“

Die Handlung der Operette wurde nicht verändert. Eurydike findet ihren Gemahl, den Geigenlehrer Orpheus, entsetzlich langweilig. Gerne folgt sie dem verführerischen Pluto in die Unterwelt, um was zu erleben. Orpheus hat erst keine Lust, ihr zu folgen, wird aber von der öffentlichen Meinung dazu gezwungen. Eurydike ist eine selbstbewusste, lebensfrohe Frau, kein Opfer, das gerettet werden muss. Elena Sancho Pereg spielt sie voller Leidenschaft und mit erotisch-lustvoller Hemmungslosigkeit. „Diese Inszenierung von Barrie Kosky ist für mich als Künstlerin und auch als Person sehr wichtig“, erzählt die Sopranistin. „Ich bin nicht die gleiche Elena wie sonst. Ich bin plötzlich so extrovertiert, durch diese sexuelle Welt habe mich sehr entwickelt.“

Alle Dämme brechen

Mit einem so beweglichen wie präzisen Tanzensemble führen die Sängerinnen und Sänger einige Choreografien auf. Sie stürzen sich in wilder Gier auf- und übereinander. Und spätestens in der Hölle brechen alle Dämme, während eine riesige Teufelsfigur auf einem Fahrrad die gelben Augen leuchten lässt. Dabei achtet Dirigent Adrien Perruchon auf kleinste musikalische Feinheiten, die Impulse fliegen zwischen Bühne und Orchestergraben hin und her.

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Elena Sancho Pereg sagt, sie habe ein bisschen Angst davor, wenn ihr traditionell geprägter Vater die Vorstellung besuchen komme. Für die großen Gesten und genau choreografierten Bewegungen musste die sportliche junge Frau extra trainieren. „Ich habe so viel Sport in den letzten Wochen gemacht“, sagt sie, „ich könnte auch an den Olympischen Spielen teilnehmen.“ Pereg ist eine sehr spielfreudige Sängerin, das konnte man schon in vielen Aufführungen der Rheinoper sehen. Möchte sie nicht doch lieber ihre Dialoge selbst sprechen und gestalten, außerhalb eines so stark festgelegten Korsetts? „Es stimmt schon“, sagt sie, „ich agiere wie eine Puppe. Aber ich mag es. Am Anfang stellte ich mir die Frage, ob das funktioniert. Aber dann fühlte ich: Es ist weniger Druck da. Ich muss nur singen.“

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Max Hopp liefert nicht nur ein Feuerwerk an Stimmen und Geräuschen. Er spielt auch eine eigene Rolle: John Styx, ein Wesen aus der Unterwelt, das sich in Eurydike verliebt hat. Er will seinem Chef Pluto die Geliebte ausspannen. Doch er agiert wie ein Sisyphos, der immer wieder den Stein hochrollen muss, bevor er wieder runterkullert. Das Schicksal von John Styx ist es, ständig die Geschichte neu zu erzählen und seine vergebliche Liebe zu durchleben.

Immer steht Hopp auf der Bühne, neben den Figuren, die er spricht – eine unglaubliche Konzentrationsleistung. Wäre er nur eine Sekunde unaufmerksam, käme die Aufführung aus dem Takt. „Das Anstrengende ist ja das, was einen im Leben herausfordert“, erklärt er. „Und ich komme noch aus einer Tradition, in der die Anstrengung zur Freude des Lebens gehört.“

Interaktion auf der Bühne

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Hopp ist oft im Fernsehen zu sehen. Er hat feste Rollen in einigen Krimiserien und kann sein Geld einfacher verdienen als mit so einer aufreibenden Theaterrolle. Das will er aber nicht. „Dieser direkte Kontakt mit Menschen, die darauf reagieren, was man gerade in dem Moment auf der Bühne tut – das hat man nur im Theater. Wenn man Film macht oder Fernsehen, dann fehlt diese direkte Reaktion auf das, was man tut.“

Was Offenbach zu der Idee mit einem einzigen Sprecher für alle Dialoge gesagt hätte – darüber kann man nur spekulieren. Doch die Wildheit der Inszenierung, die den Mächtigen die Hosen runter- und die Röcke hochzieht, entspricht ganz Offenbachs Musik. Das Stück ist ein Rausch der Satire, eine Feier der Lebenslust mit der Energie eines knallenden Champagnerkorkens. Und mit einem genialen Max Hopp als eigentlich traurigem und dabei unendlich witzigem John Styx im Zentrum.

Termine: ab 26. Oktober in der Oper Düsseldorf, Karten unter Tel.: 0211 – 8 92 52 11

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